Als Kind war ich kein besonders begnadeter Leser. Ich habe Fußball gespielt, gedacht und geträumt. Alles andere war unwichtig. Naja fast!
Mit der ersten Buchbesprechung auf dem Gymnasium begann meine lange Reise hin zum E-Book. Mit einem Kinderbuch bewaffnet, welches die erstaunliche Reise ins “Land der Riesen” auf 20 etwa A5 großen, illustrierten Seiten behandelte, trat ich als einer der ersten vor die Klasse. Ich wollte niemanden wirklich von meinem “Lieblingsbuch” überzeugen, schließlich war das Lesen nur eine Pflichtaufgabe für die Ferien gewesen, die mich gefühlt tagelang vom Fußballspielen abgehalten hatte. Dennoch wurde mir im laufe der Unterrichtsstunde deutlich, dass ich mit dem Umfang des Buches ebenso wie mit Thema und Begeisterungspotential auf dem letzten Platz landete. So konnten meine Mitschüler begeistert Detektivromane, Fantasyreihen und Belletristik aus dem Reich der Erwachsenen vorstellen. Im Gedächtnis blieb mir bis heute besonders ein Buch über die Ereignisse und Erlebnisse einer Bergsteigerexpedition zum Mount Everest mit teils tragischem Ausgang und dem Titel “In Eisigen Höhen”.
Peinlich berührt und angesteckt durch die Begeisterung meiner Mitschüler zu ihren Büchern, durchstöberte ich mein kleines Bücherregal nach tauglichen (vor allem umfangreicheren) Büchern. Leider hatte nur ein Buch mehr als 50 Seiten und die Märchen der Gebrüder Grimm schienen mir nach dem Debakel mit den Riesen besonders ungeeignet. Mir das Buch “In eisigen Höhen” zu besorgen stand außer Frage, schließlich kannte ich die Geschichte ja schon. Die Faszination, die davon ausgeht ein Buch ein zweites mal zu lesen, ereilte mich erst Jahre später.
Was zunächst folgte war eine Reihe von Fehlkäufen meiner Eltern, die durch alle Genre führte und keine Begeisterung für ein Thema oder eine Art des Schreibens hervorrufen konnte. Auch die Bücher und Werke,welche im Deutsch-Unterricht behandelt wurden, konnten die Langeweile beim Lesen nicht vertreiben.
Erst während eines schicksalhaften Urlaubs an der Ostsee – verregnet, kalt, mit verletztem Fuß, so dass ich nicht einmal Fußball spielen konnte und meiner quengelnden nervigen kleinen Schwester stundenlang in diesem winzigen Bungalow ausharrend, fällte mein Vater (oder auch meine Mutter) die folgenschwere Entscheidung, dass die Familie Kultur in Form des Naturhistorischen Museums der nächstgelegenen Stadt verordnet bekommt. Der Langeweile brav trotzend wurde ich im Souvenir-Shop belohnt und durfte mir ein neues Buch aussuchen. Abgeschreckt durch die Fachliteratur zur Entwicklung der Hanse und den kindlichen Covern der Bücher über Seeräuber und Co., zog mich ein Taschenbuch magisch an. Wie ein verwitterter Sandtein illustriert und einer halb fertigen Kirche auf dem Cover, erstand ich ein Buch mit gigantischen 1200 Seiten.
“Die Säulen der Erde” von Ken Follett war der erste Historische Roman, den ich gelesen habe und es fasziniert mich noch heute. Und wenn ich allen kleinen Geschichten meiner Eltern glauben schenken darf, war ich für den Rest des Urlaubs zu nichts mehr zu gebrauchen. Völlig im Bann dieser neuen vergangenen Welt, las ich so viel ich konnte. Und nach dem Buch gefragt, schwätzte ich meine Eltern um den Verstand. Ein Glücksfall nicht nur für mich, gab es doch nun bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein Buch geschenkt. Auch meine Schwester hatte nun einen zuverlässigen
Geschenktipp. Über die vielen Jahre sammelten sich unzählige geschenkte Bücher an, so dass schließlich Listen geführt wurden, damit kein Buch versehentlich doppelt geschenkt wurde.
Dennoch ereilte dieses Schicksal zu Ostern vor einem Jahren meine liebe kleine Schwester. Sie konnte nicht wissen, dass ich mir die Fortsetzung meines ersten historischen Romans, entgegen meiner langjährigen Praxis, längst als Hardcover gekauft hatte. Irgendwann im laufe der Ostertage unterhielten wir uns dann über eine TV-Serie, die wir beide mit viel Spannung verfolgten. Was ich nicht wusste war, dass diese Serie auf einer elfbändigen Fantasy-Saga von George R. R. Martin mit dem Titel “Das Lied von Eis und Feuer” beruhte. Prompt bekam ich zum Geburtstag den ersten Band geschenkt und meine Schwester hatte für die nächsten 10 Geschenkanlässe ausgesorgt.
Und so wurde der Keim des Geschwisterstreits gelegt!
Kaum zu Hause angekommen erwiesen sich diese ersten 600 Seiten als über die Maßen fesselnd und waren schnell ausgelesen. Am Abend, das Buch zuklappend, verspürte ich den unwiderstehlichen Drang weiter zu lesen. Nicht in ein paar Monaten, wenn ich Band zwei geschenkt bekommen würde, nicht in ein paar Tagen, wenn ich mir Band zwei bestellt hätte und auch nicht in ein paar Stunden, wenn ich Band zwei in einer der vielen Bücherreihen gefunden hätte. Nein! SOFORT!!!
Zum Glück hatte ich mir, mit der letzten Vertragsverlängerung, ein neues Smartphone zugelegt. Zwar hatte ich noch nie mehr als ein paar Nachrichten oder eine PPP der Uni auf diesem “kleinen” Bildschirm gelesen, aber einen Versuch war es wert. Schnell fand sich der zweite Band dieser Saga als E-Book und auch die hohen Kosten konnten den Drang zum Weiterlesen nicht stoppen.
Zunächst stellte die Größe der Buchstaben ein Problem dar, aber das ließ
sich sehr einfach ändern, ebenso wie der Zeilenabstand. Auch die Helligkeit stellte sich automatisch ein und so stand den Lesevergnügen keine Hindernisse mehr im Weg. Zudem stellte sich die beruhigende Gewissheit ein, dass alle 11 Bände im E-Book-Shop verfügbar waren.
Mal wieder von einer kindlichen Lesefreude erfasst, las ich bei jeder Gelegenheit. In Bus und Bahn, an Haltestellen, in der Uni, beim Essen …
Leistungsschwacher Akku? Kein Problem – einfach ein Verlängerungskabel in die Tasche.
Das Fehlen des besonderen Geruchs der Seiten oder der typischen Haltung der Arme beim Lesen? Quatsch! Egal ob Hochformat, Querformat, Sitzend, Stehend, Liegend für das Handy findet sich immer schnell eine geeignete Position. Musste man doch keine Seiten mehr festhalten oder schwere Bücher mitschleppen und im Urlaub abschätzen wie viele Bücher man schafft und mitnehmen muss. Vorbei die Mühsal, Lesevergnügen jederzeit und allerorten!
Doch so einfach war es dann doch nicht. Dreieinhalb Monate später war ich zum Osterfest bei meinen Eltern und berichtete fasziniert, dass nun Band 11 ausgelesen war und ich vom E-Book auf dem Handy mehr als Begeistert bin. Schockiert von dieser Nachricht und frustriert von dem vereitelten Plan mir Band zwei zu schenken, ließ meine Schwester ihre Gefühlen freien Lauf und beschwerte sich bitterlich. Keines Blickes wurde ich mehr gewürdigt, hatte ich doch Ahnen müssen, dass ich die weiteren Bände Zug um Zug von meiner lieben Schwester geschenkt bekommen würde. Wie konnte ich nur so viel lesen? Wie konnte ich nur so viel Geld für E-Books ausgeben, die ich ihr nicht mal ausleihen kann? Wie konnte ich nur so ein fieser Bruder sein?
Und so füge ich ,der Pro und Contra Liste zum E-Book, traurig ein “hohes Potenzial für Geschwisterstreit!” hinzu, schalte das Handy aus und klappe ein neue Buch auf, welches mir mein Mitbewohner ans Herz gelegt hat. “Die Legenden der Albae”, wieder ein Mehrteiler. Ob das mal gut geht?!